Sich strecken, einmal hüpfen oder in die Hocke gehen – diese Bewegungsabläufe sind für Kinder mit Erkrankungen wie Rheuma nicht einfach und müssen lang geübt werden. Um den kleinen Patient*innen dabei zu helfen, entwickelt das Team von Prof. Dr. Ulrich Wagner an der Hochschule München sogenannte aktive Orthesen, die die einzelnen Bewegungen motorisch unterstützen.
Gesundheit und Spaß vereinen
Bei Kinderrheuma sind unter anderem die Gelenke der kleinen PatientInnen schwer entzündet. Dadurch haben sie Schmerzen bei alltäglichen Bewegungen oder Probleme beim Laufen. Mit viel Physiotherapie und den richtigen Medikamenten kann diese Krankheit gut behandelt werden. Zusätzlich bekommen die Kinder sogenannte Orthesen. Das sind Schienen, die die Knochen entlasten und die Haltung der Gelenke stabilisieren sollen. In seinem Projekt KORA optimiert der Ingenieur Prof. Dr. Wagner die passiven Schienen mit einer Menge Technik, um den Kindern noch besser bei der Heilung zu helfen.
Der Projektname KORA steht für „kostengünstige aktive Orthese zur Rehabilitation und Analytik von kindlichen Bewegungsstörungen“. Aber eins nach dem anderen: Den ersten Teil, also die „kostengünstige“ Entwicklung, ermöglicht das Team durch die Produktion der Orthesen mit dem 3D-Druck. „Zuerst werden die Beine der Kinder mit dem 3D-Scan erfasst. Mit diesen Daten können wir anschließend die Orthesen passgenau ausdrucken. Das ist nicht ganz so aufwändig, wie bei herkömmlichen Orthesenherstellungen“, so Wagner. Die kostengünstige Produktion der technischen Bewegungshelfer ist ein wichtiger Faktor für das Forschungsvorhaben: „Das Problem ist, dass es heute kaum kommerzielle Produkte für diese sehr spezifische Zielgruppe gibt. Es ist schlichtweg nicht marktwirtschaftlich. Insbesondere da die Orthesen die Kinder nur zeitweise beim Training unterstützen sollen. Ihr Ziel ist es, sich selbst überflüssig zu machen“, erläutert der Professor.
Der zweite Teil des Projektnamens beschreibt gleich den Kern des Vorhabens, die aktive Orthese. „Aktiv“ bedeutet, dass die Orthesen nicht nur als passive Schienen funktionieren, sondern ähnlich wie ein Exoskelett bestimmte Bewegungsabläufe motorisch unterstützen. „Das ist wirklich komplex zu programmieren. Damit eine Bewegung bei der Ausführung unterstützt werden kann, muss das System bereits vor der Ausführung wissen, was der Nutzer oder die Nutzerin beabsichtigt zu tun“, schildert Wagner. Dafür forscht das interdisziplinäre Team an einer intelligenten Sensorik mit KI und maschinellen Lernsystemen. Dabei kommen eine Menge ExpertInnen zusammen, erklärt Wagner: „An dem Projekt arbeiten ExpertInnen aus der Mechatronik, Atronik, der Softwareentwicklung und dem Design. Als IngenieurIn sitzt man nicht alleine in seinem stillen Kämmerlein, sondern ist viel im Austausch, um gemeinsam eine Lösung für das Problem zu finden.“ Damit die Orthese genau weiß, wie sich das Kind gerade bewegt, liegt in ihr eine sensible Sohle. Die technische Einlegesohle ist hauchdünn und von elektrischen Leiterbahnen durchzogen, welche erkennen wie die Lastverteilung aussieht.
Beim dritten Teil des Projektnamens der „Rehabilitation und Analytik“ kam die damalige Designstudentin Fabienne Erben mit ins wortwörtliche Spiel. Denn um Kinder für die Rehabilitation, also das Training mit den Orthesen, zu motivieren, hat Fabienne für ihre Bachelorarbeit insgesamt sechs kindgerechte Spiele konzipiert. „Kinder lernen ganz anders als Erwachsene. Die setzen sich ein Ziel und verfolgen es. Bei Kindern ist das Ziel jedoch nicht wichtig. Sie machen etwas, weil es ihnen Spaß macht“, betont die 30-Jährige. Die intelligente Sensorik der Orthesen wird mit dem Spiel auf dem Smartphone verbunden. Für die Analytik der trainierten Bewegungsabläufe können ÄrztInnen, Eltern, BetreuerInnen und PhysiotherapeutInnen mit einem speziellen Pin-Code die erhobenen Daten jederzeit abrufen. Dadurch können sie den Trainingsfortschritt verfolgen und darauf achten, dass die Kinder die Übungen regelmäßig, abwechslungsreich und möglichst „richtig“ durchführen.
Fabienne wollte mit ihrer Bachelorarbeit nicht nur ihr Studium beenden, sondern direkt einen echten Mehrwert leisten. Denn Design ist für sie so viel mehr als nur „Dinge schön machen“. Genau wie ihre ingenieurwissenschaftlichen KollegInnen versucht sie für bestimmte Probleme eine Lösung zu finden. Das Problem in diesem Fall ist die mangelnde Motivation der Kinder sich Zeit für das anstrengende Training zu nehmen. Da macht das Training mit dem Dino, dem Luftballon oder der Katze gleich viel mehr Spaß. Mit dem Dino wird Bücken und Strecken trainiert, dabei heben die Kinder eine virtuelle Banane hoch und reichen sie dem Dino als Snack. Der Luftballon trainiert das Hüpfen, denn bei jedem Sprung fliegt er ein Stück höher. Mit der Katze wird eigentlich das Schleichen geübt, aber manchmal kommt es doch ganz anders: „Statt die Katze schlafen zu lassen, fing ein Kind an sich schnell auf die Katze zuzubewegen, um sie zu erschrecken. Die Arbeit mit Kindern war immer wieder überraschend“, erinnert sich Fabienne. Design für Kinder ist einzigartig. Um anderen eine Starthilfe bei solchen kindgerechten Designs zu geben, schrieb Fabienne im Rahmen ihrer Bachelorarbeit ein Handbuch mit einigen Grundlagen. Damit hat sie direkt einen doppelten Mehrwert aus ihrer Abschlussarbeit gezogen.
Die Ingenieurnachwuchs-Initiative des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.
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